Detailarbeit im Hintergrund der Abgeordneten
In der Hoffnung, mehr über den Gesetzgebungsprozess und die Ausschussarbeit zu erfahren und eine begeisterte Europäerin zu treffen, begebe ich mich in das Gespräch für diesen Artikel. Nicht weniger als das, kann Silke Dalton, Beraterin der EVP-Fraktion, erfüllen. Wir sprechen über Zoom, während sie sich im Home-Office in Brüssel befindet.
Die 43-Jährige ist in Coburg in Bayern aufgewachsen, einer Stadt, die an der Grenze zur damaligen Ostzone lag. Diese Erfahrung war ein Hauptgrund dafür, warum sie sich früh für das europäische Projekt begeisterte. Deswegen begann sie Europapolitik und im Nebenfach Europäisches Recht an der Universität Bamberg im Diplom zu studieren, mit einem zusätzlichen Abschluss in Paris. Am Ende des Studiums kurz vor der Europawahl 2004 bekam sie die Chance, fünf Monate lang ein Praktikum im Büro ihres oberfränkischen Europaabgeordneten Joachim Wuermeling zu machen, wo „der Funke sofort übergesprungen ist“. Danach hatte sie das Glück, dass sie direkt im Anschluss für vier Jahre den Job als Büroleiterin des neu gewählten Europabgeordneten Markus Pieper übernehmen konnte. Zu Beginn noch als einzige Mitarbeiterin in Brüssel, bald in einem Team von vier Kollegen, wodurch sie zuerst „von Legislativarbeit, über Kommunikation bis Büroarbeit“ eigentlich für alles zuständig war.
2008 wechselt sie dann als zeitlich befristete Beamtin zur EU-Kommission und half EU-Beitrittsländern bei der Umsetzung von EU-Gesetzgebung in nationales Recht. Drei Jahre später konnte sie am sogenannten „Concours“ (einem allgemeinen Auswahlverfahren für viele EU-Berufe) für deutsche Berater in der EVP-Fraktion teilnehmen. Nach dem Bestehen des „Concours“ war sie ab März 2011 als Beraterin im Auswärtigen Ausschuss (AFET) des Parlaments mit dem Schwerpunkt Russland tätig. In ihre Arbeitszeit fiel die rapide Verschlechterung der EU-Russland-Beziehungen, was aber auch die Chance war, „im Herzen der Diskussionen“ an der Positionierung der EU mitzuarbeiten.
Trotz der Begeisterung für Außenpolitik, entschied sie sich 2015 für einen Wechsel in den Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE), weil sie in einem Themengebiet mit mehr Gesetzgebungskompetenz der EU arbeiten wollte. Seit nun über 6 Jahren arbeitet sie hier. Viel Arbeitszeit nimmt dabei die Teilnahme an den sogenannten Trilogen ein, den Verhandlungen zwischen Parlament, Kommission und Europäischem Ministerrat zu Gesetzesvorschlägen. Bei diesen wird oft auch mal die Nacht durchverhandelt, „bei Pech auch mal morgens bis fünf“. Ansonsten hängt Ihr konkreter Arbeitsalltag stark von der jeweiligen Parlamentswoche ab. In den Plenar- oder Ausschusswochen bereitet sie die Positionierung der Abgeordneten aus der Fraktion zu den einzelnen Vorschlägen vor und schreibt Briefings. In den Wochen dazwischen hat sie oftmals ein Meeting nach dem anderen, in denen mit vielen Details über Kompromisse verhandelt wird, „mit Kaffeepause aber“, erzählt sie lachend.
Als Ausgleich in ihrer Freizeit ist sie „engagierte Mutter von zwei Kindern“, nimmt Reitstunden und während des Lockdowns hat sie sich einer Laufgruppe angeschlossen.
Thematisch beschäftigt sie sich bei ihrer Arbeit viel mit Klimaenergiepolitik, aktuell gerade z.B. mit dem umfangreichen Fit for55-Paket der EU. Sie betont aber gleichzeitig auch, dass durch die inhaltliche Bandbreite des Ausschusses, zahlreiche weitere Themen relevant sind: Sowohl Gesetzgebung zu Datenökonomie, Cybersicherheit oder dem großen EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe. Begeisterung, Fachwissen und Überzeugung von der Notwendigkeit all dieser Bereiche bemerkt man bei Silke Dalton sofort. Die wichtigste Fähigkeit für ihren Beruf? Für die Beraterin klar: Aus einer großen Masse an Dokumenten schnell die wichtigsten Informationen rauszufiltern, Etwas, das man bereits im Studium lernen könne.
Beeindruckende Erlebnisse während ihrer mittlerweile 18 Jahre im EU-Kontext hatte sie viele, u.a. Besuche vom Papst oder dem Dalai Lama. Besonders in Erinnerung geblieben sei ihr aber, als sie während ihres Praktikums 2004 ihren EU-Abgeordneten zu einer Feier an der deutsch-tschechischen Grenze wegen der EU-Osterweiterung begleiten durfte. Sie hatte das Gefühl, dass sie dort dabei war, „wo Geschichte geschrieben wird“.
Die Multikulturalität ist eine Sache, die Frau Dalton, während ihrer gesamten Arbeitszeit bei EU-Institutionen weiterhin fasziniert. Kaum eine Woche würde vergehen, ohne dass einer der Kollegen von einem nationalen Feiertag oder einer Tradition berichtet. Ganz besonders merkt Frau Dalton das auch in ihrem Team, das neben ihr aus einer Niederländerin, einer Polin und einem Bulgaren besteht, „wo jeder seine eigenen nationalen Geschichten mitbringt“.
Corona
Für das Parlament sei die Verlegung auf Online-Plattformen auch aufgrund des notwendigen Dolmetschens besonders schwer gewesen. Für sie persönlich bedeutete es vollständiges Home-Office bis diesen Juni, seitdem darf sie wieder einen Tag pro Woche ins Büro. Zwar erzählt sie mit Stolz, dass das EU-Parlament insgesamt bewiesen habe, dass die notwendige Erhaltung des Parlamentsbetriebes überraschend gut auch online geklappt hat. Trotzdem sei die Online-Umgebung gerade bei Verhandlungen eine hinzukommende Herausforderung, die Kompromisse erschwert. Man könnte nicht mal einfach um den Tisch herumgehen und Probleme im Einzelgespräch lösen.
Aus der Zeit mit Corona nimmt sie den Wunsch mit, dass langfristig mehr Flexibilität, Home-Office und hybride Meetings im Parlament ermöglicht werden. Dies würde zahlreiche Reisen und damit unnötige Kosten und Umweltverschmutzung vermeiden, erklärt sie.
Was bedeutet die EU für sie? Es sei das „Friedensprojekt, das Europas zusammenhält“. In rauen, internationalen Zeiten von Trump und dem Brexit, zeige die EU, dass miteinander reden hilft und es ein „Grundgerüst an Themen gibt, an dem keiner rüttelt“. Die Pandemie hätte, trotz Kritik, letztlich gezeigt, dass die EU in Fragen der gemeinsamen Gesundheits- und Impfkoordinierung zueinanderkommt. Das beweise, dass die EU weiterhin an Lösungen arbeitet, „die unser Leben jeden Tag ein kleines bisschen besser machen“.
Selber kann sich Frau Dalton, nach mittlerweile 18 Jahren im EU-Kontext, das Verlassen des Parlaments aktuell kaum vorstellen, „die Arbeit ist weiterhin viel zu spannend“.
Vielen Dank für das Interview.
Jannis Dannenberg, Berlin im September 2021