Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat heute mit 5:3 Stimmen entschieden, dass auch die Dreiprozenthürde bei Europawahlen verfassungswidrig und damit bei der anstehenden Europawahl im Mai nicht anzuwenden ist, da sie in Anlehnung an das vorangehende Urteil von November 2011 zur 5%-Sperrklausel gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der politischen Parteien verstoße. Dazu äußert sich der brandenburgische Europaabgeordnete Dr. Christian Ehler (CDU).
Dr. Christian Ehler: Drei-Prozent-Hürde wäre Schutzmaßnahme zugunsten politischer Stabilität gewesen
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat heute mit 5:3 Stimmen entschieden, dass auch die Dreiprozenthürde bei Europawahlen verfassungswidrig und damit bei der anstehenden Europawahl im Mai nicht anzuwenden ist, da sie in Anlehnung an das vorangehende Urteil von November 2011 zur 5%-Sperrklausel gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der politischen Parteien verstoße.
Dazu äußert sich der brandenburgische Europaabgeordnete Dr. Christian Ehler (CDU).
„Die Abschaffung der Sperrklausel bei der Europawahl hat der Stabilität der ohnehin schwierigen politischen Entscheidungsprozesse im Europäischen Parlament einen Schlag versetzt. Schon in der ersten Urteilsbegründung zeigte sich eine gefährliche Kenntnislosigkeit der Bedeutung und Komplexität der parlamentarischen Entscheidungen in der einzig gewählten europäischen Institution. Das Urteil zeigt eine gewisse Kontinuität der Geringschätzung der Arbeit des Europäischen Parlaments und ist verfassungsrechtlich durchaus fragwürdig. Radikale Antieuropäer und immer mehr politische Splittergruppen werden nun die notwendigen Mehrheiten für sinnvolle Kompromisse erschweren und Deutschlands Positionen im Europäischen Parlament weiter schwächen. Die Drei-Prozent-Hürde wäre eine Schutzmaßnahme zugunsten politischer Stabilität gewesen.“
„Auch ein Blick über den nationalen Tellerrand zeigt, dass es faktisch in fast allen EU-Mitgliedstaaten Zugangsbeschränkungen zum Europäischen Parlament gibt. Umso unverständlicher ist das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem Deutschland deutlich ausschert. In fast keinem Land der EU kann eine Partei mit weniger als drei Prozent der Stimmen ins Europaparlament kommen“, so Ehler weiter.
In zehn Ländern gibt es eine Fünf-Prozent-Klausel, eine Vier-Prozent-Hürde existiert in vier Ländern und eine Drei-Prozent-Sperre in zwei Ländern. Formal gesehen besteht damit in einer Mehrheit der Mitgliedstaaten (16 von 28) eine gesetzliche Hürde. „Die Tatsache, dass sich unter den zwölf Mitgliedstaaten ohne gesetzliche Hürde wiederum eine große Anzahl der kleineren und kleinsten Mitgliedstaaten befindet, hat durchaus Konsequenzen“, machte Ehler deutlich.
So entsendet Dänemark zum Beispiel 13 Abgeordnete ins Europäische Parlament, hat hierfür aber keine gesetzliche Hürde formuliert. Um eines der 13 Mandate zu erringen, müsste eine Partei rein rechnerisch somit knapp acht Prozent der Stimmen erreichen. Daher besteht in Dänemark zwar keine gesetzliche, aber eine (erhebliche) „natürliche“ Hürde. Deutschland hätte selbst mit einer gesetzlichen Drei-Prozent-Hürde neben Großbritannien und Spanien die drittniedrigste Zugangsbeschränkung in der gesamten Europäischen Union gehabt.
„Dem Zeitgeist folgend mag sich in der breiteren Öffentlichkeit, das Mitleid für die etablierten Parteien in Grenzen halten, die Konsequenzen für die Handlungsfähigkeit der Institution Parlament und der deutschen Interessen in Europa sind jedoch fatal. Aufgrund der neuen Kompetenzen des EU-Parlaments wäre die Sperrklausel nötig gewesen, um politische Zersplitterung zu verhindern. Das Europäische Parlament hatte alle EU-Mitglieder in seiner Entschließung von November 2012 aufgefordert, angemessene Mindestschwellen für die Verteilung der derzeit 766 Parlamentssitze festzulegen. Dies ist wegen der gestiegenen Bedeutung stabiler Mehrheiten im Parlament sowie wegen geänderter Machtverhältnisse zwischen Parlament und Kommission nötig“, so Ehler abschließend.